Friedens-Konzert mit dem Ensemble Polynuschka am 8. September 2024 auf der Inselbühne In Potsdam

An einem sonnigen sehr warmen Sonntag im September 2024 veranstaltete Kaspar v. Erffa ein Friedens-Konzert mit dem Ensemble Polynuschka, das  an sich  bereits ein Friedensprojekt darstellt, weil auch nach dem Ausbruch des Krieges russische und ukrainische Sänger weiterhin gemeinsam authentische russische und ukrainische Volksmusik interpretieren.

Zwischen einer Gruppe von jeweils drei Liedern, las Kaspar v. Erffa einen besonders aussagekräftigen Abschnitt aus dem Buch Frieden ist möglich von Johannes Czwalina und Christina Callori di Vignale. Ein und dieselbe Aussage in Sprache und Gesang – nämlich Frieden ist möglich. Dass Frieden praktizieren nicht einfach ist, wissen wir alle, dennoch, einen Versuch ist es allemal wert.

Was lehrt Dresden über den Krieg, Frau Callori-Gehlsen?

Ein Leben zwischen zwei Welten

Autorin Christina Callori di Vignale

LÖRRACH. Im Leben von Christina Callori di Vignale dreht sich fast alles um Sprachen, Texte und Bücher. Eine weitere Konstante bildete die Politik in ihrem Alltag, denn ihr Vater war Diplomat. Beides findet Ausdruck in ihrem Buch „John F. Kennedy – Martin Luther King. Wegbereiter für Barack Obama“, das Landtagsabgeordneter Rainer Stickelberger (SPD) am Freitag, 19.30 Uhr, in der Alten Feuerwache bei einer SPD-Veranstaltung vorstellt.Zwischen zwei Sprachen und Kulturen ist die Autorin aufgewachsen, die seit Ende 2009 in Lörrach lebt. Ihre Leidenschaft für Sprachen, Kulturen und das Schreiben sieht Christina Callori di Vignale als Berufung. „Sonst wäre es eine Qual“, erklärt die Autorin. Als diplomierte Übersetzerin viel Geld zu verdienen, sei schwer, denn die Anforderungen seien hoch. Man müsse eine Fremdsprache nicht nur perfekt beherrschen, sondern auch den Geist der Sprache sowie die Kultur kennen und verstehen, um zwischen den Zeilen lesen zu können. Mit ihrem Lebenslauf bringt Christina Callori di Vignale die besten Voraussetzungen dafür mit und hat schon zahlreiche Bücher unter anderem für den Herder-Verlag übersetzt. Dort ist sie ebenso als Lektorin und Herausgeberin beschäftigt. „Wer immer die Bücher anderer Leute übersetzt, hegt irgendwann den Wunsch, auch selbst ein Buch zu schreiben“, erklärt die Autorin ihre Motivation zum eigenen Buch.

1940 wurde Christina Callori di Vignale in Rom geboren, ihr Vater war Diplomat. 1943 musste sie als Kleinkind gemeinsam mit ihrer Familie Italien verlassen. „Nach dem Sturz von Mussolini sollten Deutsche, die in Italien lebten, zurück in ihre Heimat“, erklärt Callori di Vignale. Die Familie ließ sich in Dresden – der Heimat der Mutter – nieder, wo die Eltern 1949 und 1954 verstarben. Christina blieb bis nach dem Abitur Ende der 50er Jahre in Ostdeutschland, um 1960 ihr Studium der englischen und italienischen Sprache in Rom zu beginnen, das sie 1964 als Diplomübersetzerin abschloss.

Neben den Sprachen galt ihr Interesse auch dem politischen Geschehen ihrer Umwelt. „Das ergibt sich vielleicht, wenn man zwischen zwei Welten aufwächst“, erklärt die Autorin. Durch den Beruf des Vaters hatte Christina Callori di Vignale zudem Gelegenheit, zahlreiche Politiker kennenzulernen. „Es gibt auch gute Politiker, die ihren Job sehr Ernst nehmen“, berichtet sie aus ihrer Erfahrung. Zwar sei sie damals noch sehr jung gewesen, doch hat es sie stets interessiert und fasziniert, welche Auswirkungen das politische Handeln haben kann und welche Hintergründe zur jeweiligen Entscheidung geführt haben. „Das können auch familiäre und eben ganz menschliche Hintergründe sein“, erklärt die Autorin. Deshalb will sie in ihrem Buch „John F. Kennedy – Martin Luther King. Wegbereiter für Barack Obama“ Porträts der Persönlichkeiten, die sich auch begegnet sind, mit menschlichen Zügen zeichnen. „Die Tatsache, dass sich Martin Luther King und John F. Kennedy begegnet sind, ist nicht sehr bekannt“, erklärt Callori di Vignale. Offiziell war Kennedy ein Gegner Kings. Zum Ende seiner kurzen Amtszeit, war der amerikanische Präsident allerdings bereit, die Aufhebung des Rassentrennungsgesetztes im Senat durchzuboxen. „Bei Kennedy war die Abkehr von der Rassentrennung ein Prozess, an dessen Ende er sterben musste“, sagt die Autorin. Der Frieden als höchstes Ziel der Politik.

Ihr Buch hat sie vor allem für die jüngere Generation geschrieben, um die Zeit, die Gesellschaft und Politik lebendig werden zu lassen. Anders als in Gechichtsbüchern stellt sie die Lebensgeschichten der Poltiker in einen Zusammenhang und entwickelt dadurch neue Betrachtungsweisen. „Das höchste Ziel der Politik ist der Frieden“, meint die Autorin. John F. Kennedy habe sich nach ihrem Dafürhalten im Umgang mit der Kubakrise (1962) an diese Devise gehalten. Frieden bedeutet für Callori di Vignale aber nicht nur, dass Menschen keine Waffen aufeinander richten, sondern beinhaltet auch Begriffe wie Gerechtigkeit und Zufriedenheit.

Seit Dezember lebt sie wie ihre Tochter Anna in Lörrach, Sohn Luca lebt in Italien. „Ich bin noch dabei, mich einzuleben, fühle mich aber wohl hier“, sagt Christina Callori di Vignale. Rund 30 Jahre hat sie in Freiburg gelebt und ist im vergangenen Jahr nach Lörrach umgezogen, um für ihre Enkelkinder da sein zu können.

Buchvorstellung: „John F. Kennedy – Martin Luther King. Wegbereiter für Barack Obama“ mit dem Landtagsabgeordneten Rainer Sickelberger am Freitag, 8. Oktober, um 19.30 Uhr in der Alten Feuerwache in Lörrach im Rahmen einer SPD-Veranstaltung.

Reise nach Archyz im Kaukasus

Sitzgruppe mit Direktor und Bild

Das Wunder vom Kaukasus
Hohe Politik im Freizeitlook: Bundeskanzler Helmut Kohl in der Strickjacke, der sowjetische Staatschef Michail Gorbatschow im Pullover – das waren die Bilder, die damals, im Sommer 1990, um die Welt gingen.
Die beiden Politiker hatten sich in Gorbatschows Datscha in Archyz im Kaukasus getroffen, um in zwangloser Atmosphäre die Wiedervereinigung Deutschlands auszuhandeln

AUS ARCHYZ
CHRISTINA CALLORI-GEHLSEN

Der Weg zur Gorbatschow-Datscha ist nicht leicht zu finden. Von der Hauptstraße kaum sichtbar, öffnet sich langsam ein eisernes Tor und macht die Zufahrt zum Bauwerk frei, das erst nach einer letzten Biegung auftaucht. Die Datscha steht am Ufer des Großen Zelentschuk – ein massiver, geduckter Bau mit breiten Balkonen und spitzen Dächern, die dem Wetter auf 1.400 Metern Höhe trotzen. Herr Ljubow, der Direktor, seine Gattin und die Wirtschafterin stehen bereit und freuen sich, endlich einem Gast aus Deutschland den historischen Ort zeigen zu können – dem ersten seit Juli 1990. Auch der Schuldirektor des kleinen Dorfes, ein Hotelbesitzer und eine Dolmetscherin haben sich dem kleinen Empfangskomitee angeschlossen. Es scheint, als hätten alle nur auf diesen Moment gewartet.

Die Datscha ist in einem äußerst gepflegten Zustand. Im Eingangsbereich ein ausgestopfter Gebirgsbock, dann kommt schon der Konferenzraum. Hier wurde um die Zugehörigkeit Deutschlands zur Nato und die Truppenstärke im wiedervereinigten Deutschland verhandelt. Im Billardzimmer nebenan fanden ebenfalls Gespräche statt. Im Speisesaal mit dem eleganten Kronleuchter wurde damals neben anderen typisch kaukasischen Speisen Schaschlik vom Hammel auf riesigen Spießen serviert, dessen Duft den Gästen auf dem Rückweg vom Spaziergang durch den Park schon in die Nasen wehte. Zum Sieg der deutschen Nationalmannschaft bei der Fußballweltmeisterschaft 1990 in Rom prostete Gorbatschow dem Bundeskanzler mit Armenischem Cognac zu.

Herr Ljubow lässt die Appartements öffnen, in denen Helmut Kohl und Michail und Raissa Gorbatschow gewohnt haben. Kohls Zimmer ist mit dunkelgrün gemusterter Tapete und dazu passenden Teppichen ausgestattet
– ganz im Prachtstil der Sowjetunion. Der Direktor fragt, ob man eine Nacht hier schlafen möchte. „Nein, lieber doch nicht.“ Vor dem Schlafzimmer liegt der Balkon, von dem aus Helmut Kohl zum sternenbedeckten kaukasischen Himmel emporgeblickt hatte. Er schreibt, dass ihn in diesem Augenblick das Gefühl der Zuversicht überkam und er sich sicher war, dass sich die Reise hierher gelohnt habe. „Wir haben Fortüne gehabt“, resümierte Kohl auf dem Weg zurück nach Bonn. Der Weg zur deutschen Einheit war frei.

Nach einem kurzen Spaziergang durch den Park, dorthin wo der Zelentschuk rauscht, kommt die Gruppe endlich zu dem rustikalen Tisch mit den Stühlen, die aus Baumstämmen herausgesägt wurden. Hier saßen am 16. Juli
1990 Kohl, Gorbatschow und Genscher, umringt von Raissa Gorbatschowa, Kohls Pressesprecher Hans Klein, Schewardnadse, Kohls außenpolitischer Berater Horst Teltschik, Finanzminister Theo Waigel. Kohl in Strickjacke, Gorbatschow in Pullover, nur Genscher trug Anzug. Bis 2001 waren Strickjacke und Pullover wie Reliquien in Haus der deutschen Geschichte in Bonn ausgestellt. Seitdem sind die Textilien im Magazin verschwunden.

Etwas zögerlich nehmen die Besucher nun am Tisch Platz. Die Autorin setzt sich auf den Stuhl, auf dem Genscher saß. Im Unterschied zu damals, als Raissa den anwesenden Journalisten einen Blumenstrauß pflückte, ist diesmal das Gras gemäht und zu Heuhaufen geschichtet. Der Große Zelentschuk rauscht wie damals, nur der kleine abschüssige Weg zum Fluss, den Gorbatschow und Kohl hinabgestiegen sind, ist zugewachsen – es war lange niemand hier.

Die Unterhaltung am historischen Ort wird immer lebendiger. Frau Ljubowa und die Übersetzerin Alexandra Nikolajewna schwärmen: „Russen und Deutsche schreiben große Romane, wie Lew Tolstoi und Thomas Mann, und haben auch große Dichter – die Amerikaner schreiben nur große Romane, aber keine Gedichte.“ Es fällt auch immer wieder das Wort Friede, Mir auf Russisch. Allen ist die derzeitige angespannte politische Lage bewusst. Es drängt sich der Vergleich mit 1990 auf, als die Gespräche hier das Ende eines langen Konfliktes brachten.

„Ich sehe ein freies, demokratisches Europa vom Atlantik bis zum Ural“, schrieb Kohls Pressesprecher Hans Klein später. Die Realität sieht heute anders aus. Doch im Moment genießt die kleine Gesellschaft die Ruhe des Ortes. Die Reise hierher hat sich – wie es schon Helmut Kohl empfunden hatte – gelohnt.

Die Vorbereitungen im Frühjahr waren holprig. Fast schien es, dass angesichts der politischen Spannungen eine Reise hierher unmöglich wäre.
Doch am 8. August erwartet Ruslan Gedijew, der Besitzer des Hotels „Bergluft“ in Archyz, den Gast am Flughafen Krasnodar. Die Fahrt durch die endlose Steppe dauert fast sechs Stunden. Die Monotonie der Landschaft wird nur ab und zu durch riesige Sonnenblumenfelder unterbrochen. Erst ab Maikop, einer Provinzstadt mit knapp 150.000 Einwohnern, wird es hügeliger und grüner. Einige Bäume spenden am Straßenrand Schatten. Endlich erheben sich in der Ferne feierlich die Berge des Großen Kaukasus.

Dort, eingebettet im Nordhang, liegt Archyz, eine Siedlung in der Region Karatschai-Tscherkessien. Das Dorf wurde erst 1923 gegründet. Die am Nordhang des Kaukasus lebenden Tscherkessen ließ Stalin 1943 wegen angeblicher Kollaboration mit der Wehrmacht nach Kasachstan und Kirgisien deportieren. Das Schicksal teilen die Tscherkessen mit den Tschetschenen und den Krimtataren. 1957 erhielten die Tscherkessen die Erlaubnis zur Rückkehr in ihre Heimat. Viele von ihnen siedelten sich in Archyz an. 1980 lebten hier 1.200 Einwohner, heute sind es noch 500.

Das Dorf wirkt nicht einladend. Eigentlich handelt es sich nur um eine breite, asphaltierte Hauptstraße, an der sich einige Geschäfte, das Hotel „Bergluft“ des rührigen Ruslan Gedijew, sowie ein Basar reihen.
Einige weitere Hotels liegen am Ufer des Großen Zelentschuk, von der Straße aus nicht sichtbar. Kühe und die kleinen, wendigen tscherkessischen Pferde bestimmen das Straßenbild. Wenn die Dorfjungen oder die russischen Touristen die Straße entlang galoppieren, erfüllt das Klappern der Hufe die Luft. Die Nebenstraßen sind ungepflastert und verwandeln sich je nach Wetterlage in Schlamm- oder Staubpisten.

Das gesunde Klima und die Abgeschiedenheit haben hohe sowjetische Parteifunktionäre, darunter der sowjetische Ministerpräsident Alexej Kossygin und Parteichef Leonid Breschnew, dazu bewogen, hier ihre Datschen zu bauen – bei denen es sich in Wahrheit meist um Villen handelt. Die Datscha Kossygin liegt auf dem Gelände der Gorbatschow-Datscha. Eine weitere Regierungsdatscha ist etwas außerhalb des Ortes angesiedelt und heute ein Sanatorium. Dort wohnten 1990 die beiden Außenminister Genscher und Schewardnadse.

Bei der Ankunft im Hotel „Bergluft“ findet ein Festessen zu Ehren des Besuches aus Deutschland statt. Mit am Tisch sitzen eine ehemalige Deutschlehrerin und ihre Schülerin Alexandra Nikolajewna, die übersetzt.
Die Deutschlehrerin schwärmt von Heinrich Heine. Bei einem Spaziergang durchs Dorf stimmt sie die „Loreley“ an – und kennt alle Strophen auswendig. Zu Sowjetzeiten wurde in der Schule Deutsch unterrichtet, erzählt sie, jetzt stehe Englisch auf dem Lehrplan.

Der Besuch aus Deutschland hat auch die Neugier des örtlichen Fernsehsenders Archyz24 geweckt. Zwei Tage nach dem Besuch der Datscha geht es nach Tscherkessk, der Hauptstadt der Region. Die Fahrt führt hinunter in die Ebene, durch die Steppe und das Gebirgsvorland mit bizarren Felsformationen. In der Ferne erhebt sich der Elbrus mit seinem 5.640 Meter hohen Doppelgipfel.

In Tscherkessk ist es heiß. Eine moderne quirlige Stadt mit den üblichen Plattenbauten an der Peripherie. Die Fernsehstudios sind nagelneu und modern ausgestattet. „Wir freuen uns für die Deutschen, dass sie die Einheit ihres Landes erhalten haben“ sagt eine Redakteurin zur Begrüßung und fügt an: „Aber für uns hat Gorbatschow den Zerfall der Sowjetunion gebracht.“ Es entspinnt sich sofort eine Diskussion – nicht vor laufender Kamera -, ob denn ohne Gorbatschows Perestroika das Russland von heute denkbar wäre. Es scheint bei allen Gesprächen, dass das Land unter Phantomschmerzen leidet. Während der Rückfahrt aus Tscherkessk lässt ein Journalistenteam aus Japan, das über die Verhandlungen zur deutschen Einheit berichten will, anfragen, ob sich eine Reise nach Archyz lohnt. Auf jeden Fall!

Zum Abschied kommt Marat Chubijew nach Archyz, ein freundlicher, aufgeschlossener Mann und Minister der Regionalregierung. An die Gespräche im Juni 1990 kann er sich nicht erinnern, bedauert er, dazu sei er zu jung. Er freue sich auf weitere Gäste und verspricht Unterstützung für den Fall, dass im nächsten Jahr, dem 25. Jahrestag der Begegnung, Deutsche hierher kommen wollen. Die Idee einer Gedenktafel gefällt ihm.

Das Kind im Keller

Unsere Autorin war vier Jahre alt, als Bomben auf ihr Haus in Dresden fielen. Nur mit Müh und Not entkam sie damals dem Feuer. Bis heute erträgt sie keine verschlossenen Türen.

Seit Monaten blicken mir im Fernsehen und von den Titelblättern der Zeitschriften erschrockene Kinderaugen entgegen. Sie stehen verstört vor ihren zerbombten Häusern. Wenn sie Glück haben, sind ihre Eltern oder Verwandte bei ihnen. Mir ist dieses Gefühl aus ferner Vergangenheit bekannt, es hat sich in mir eingenistet. Ich weiß, was in den Kinderseelen vorgeht, denn ich war so ein Kind, das eines Morgens schreckgelähmt und übermüdet auf die Trümmer seines Hauses blickte. Zum Glück waren dort alle Menschen lebend davongekommen.

Meine Eltern lebten in Berlin und hatten mich zu meiner Tante nach Dresden gegeben, weil sie die Stadt für sicher hielten. Wie schon seit vielen Nächten wurde ich am 13. Februar 1945 aus dem Tiefschlaf gerissen. Vorsorglich hatten die Erwachsenen mich angekleidet ins Bett gelegt, damit sie mich ohne Zeit zu verlieren direkt in den Keller bringen konnten. Dieser war als besonders sicher begutachtet worden, weshalb auch die Bewohner der umliegenden Häuser in der damaligen Marschall-Allee, heute Händelallee, in Blasewitz hierher kamen. Der Stadtteil liegt am Rande des Stadtkerns von Dresden, wo das Grauen unbeschreibliche Ausmaße erreichte.

Die kleine Christa-Maria im April 1946 in Dresden. In ihrem Text nennt sie sich „das Kind“. Mit dieser Distanz fiel ihr das Schreiben leichter, sagt die heute 76-Jährige. © privat
Das Haus der Tante von Christa-Maria Callori-Gehlen im Stadtteil Blasewitz. Im Keller versteckten sie sich zusammen mit den Nachbarn, um vor den Bomben in Sicherheit zu sein. © privat

Kaum war der Alarm verhallt, erschienen am Himmel die bombenspeienden Flugzeuge. Sie warfen mit wahlloser und flächendeckender Zerstörungsabsicht tonnenweise Spreng- und Brandbomben über der Stadt ab. In den vergangenen siebzig Jahren wurde oft darüber geschrieben und über die Zahl der Toten gestritten. Aber was bedeutet schon eine Zahl? Was zählt, ist das Leid jedes Einzelnen.

Während die Bomben vom Himmel fielen, herrschte im Keller eine bedrückende Stille. Der Putz bröckelte, losgelöst durch entfernte Erschütterungen, mit einem fast unhörbaren Geräusch von den Wänden. Kinder schluchzten. Das Kind, das ich damals war, traute sich nicht zu weinen. Die Kerzen flackerten gespenstisch, ein leichter Luftzug ging durch den Keller. Vor dem unruhigen Licht versuchten die Erwachsenen die Kinder durch Schattenspiele aufzuheitern. An der Kellerwand erschien ein Hund. Er entstand, indem Daumen, Zeigefinger und kleiner Finger zusammengeführt wurden, das war die Hundeschnauze, die durch Öffnen und Schließen der Finger auch bellen konnte. Die Ohren bildeten die aufrecht gestellten mittleren Finger. Das seltsame Tier lenkte zwar ab, aber wirklich lustig wirkte es nicht – eher etwas fehl am Platz.

Dieses harmlose Spiel wird das Kind ein Leben lang an die Bombennächte im Keller erinnern. Irgendwann im Laufe der Nacht – der erste Alarm war kurz vor zehn Uhr abends erfolgt – stürzten die Männer und die Hausbesitzerin nach draußen in den Garten, weil Waschhaus und Geräteschuppen Feuer gefangen hatten. Es konnte mit Müh und Not gelöscht werden.

Nach ängstlichem Warten auf das Heulen der Sirenen, die das Ende des Alarms ankündigen sollten, kam nach Mitternacht die zweite Angriffswelle. Irgendwann, ohne dass die Bewohner es bemerkt hatten, waren Phosphorbomben auf das Haus abgeworfen worden. Das ganze Haus brannte bereits lichterloh, als der Geruch von Rauch zu den Menschen im Keller drang. Er war zwar einsturzsicher, wäre uns aber um ein Haar zum Grab geworden. Gleich neben der Kellertür befand sich der Ausgang zum hinteren Teil des Gartens. Er war jedoch durch herabgestürzte glühende Balken versperrt. Alles war in ein tiefes Rot getaucht, die Hitze unerträglich. Das Kind hat vieles vom Verlauf dieser Nacht aus den Erzählungen der Erwachsenen erfahren, aber einige Eindrücke haben sich ihm tief ins Gedächtnis gebrannt. Dazu gehört das unbeschreibliche Feuerrot in dieser Nacht. Es ist ein schmerzhaftes Erstaunen, als das Kind später, dann schon erwachsen, in Akira Kurosawas Film „Rhapsodie im August“ genau diesen Farbton wiedererkennt. Er scheint am Himmel hinter den Bergen auf, als sich die alte Frau an den Feuersturm nach dem Abwurf der Atombombe im japanischen Nagasaki erinnert.

Es blieb nur der Weg durchs Haus, um auf der anderen Seite über die Veranda aus dem brennenden Gefängnis zu kommen. Alle Fenster im Untergeschoss, auch die Verandatür, waren mit schmiedeeisernen Gittern versehen. Im dichten Rauch konnte die Tante des Kindes, das kleine, ihr zum Schutz anvertraute Mädchen im Arm, nicht gleich den Schlüssel zur Verandatür finden. Als sie ihn schließlich nach beklemmenden Sekunden auf dem Schreibtisch ertastete, öffnete sich der Weg ins Freie, vorbei an den brennenden Korbmöbeln auf der Veranda. Es gab wieder Luft zum Atmen. Das Haus stand in Flammen. Nie wieder im Leben wird das Kind eine abgeschlossene Tür ertragen. Lange weiß es nicht warum.

Auf dem Weg zu Verwandten am anderen Elbufer, am Hang von Oberloschwitz, kamen die Überlebenden an Menschen vorbei, die reglos am Boden lagen. Das Kind fragte die Erwachsenen, warum sie auf der Straße schliefen und nicht ins Bett gingen. Was Tod ist, wusste es damals noch nicht. Es sollte jedoch bald davon erfahren.

Irgendwann am 14. Februar stand das Kind mit seiner Tante vor den Trümmern des Hauses. Es züngelten noch Flammen zwischen den zusammengestürzten Mauern und Balken. Das Bild ist noch lebendig, aber das Gefühl von damals verschwommen: Unverständnis und Müdigkeit.

Der Keller ist in der Erinnerung des Kindes nicht nur ein Ort der Angst, sondern auch ein Ort, an dem viele Köstlichkeiten aufbewahrt wurden. Noch vom vergangenen Sommer lagen in luftigen Regalen die Äpfel und dufteten. In anderen Regalen standen große Einmachgläser mit Obst und Gemüse, aber auch kleine Gläser mit Marmelade. Entlang der Treppe nach unten befanden sich kleine Nischen, in denen während der warmen Jahreszeit Butter und Milch abgestellt wurden, weil es dort kühl war. Dem Kind war schon vor dem Angriff etwas gruselig zumute, wenn es dorthin geschickt wurde, um etwas zu holen. Alles blieb unversehrt und die Reichtümer konnten unter den Trümmern ausgegraben werden. Sie dienten noch eine ganze Weile dem täglichen Überleben.

Das Kind in Dresden hatte trotz allem Glück. Der Krieg war bald zu Ende, und es begann ein fast normales Leben. Es konnte mit anderen Kindern wieder draußen spielen, obwohl noch eine Zeitlang Gefahr drohte, wenn Tiefflieger heranflogen. Dann hieß es: sich auf den Boden werfen. Wie für Kinder typisch, erlangten auch die dem Dresdner Inferno entkommenen Kinder bald ihre Unbeschwertheit zurück und fanden es lustig, sich auf den Boden fallen zu lassen. Aber das Kind wird noch lange, auch als erwachsene Frau noch, beim brummenden Geräusch der alten Kriegsflugzeuge den Impuls verspüren, sich auf den Boden zu werfen. Zu besonderen Anlässen wurden die Maschinen immer mal wieder in die Luft geschickt.

Dann kam endgültig der Frieden. Nie wieder Krieg, unter diesem Motto wuchsen wir Nachkriegskinder auf. Doch es blieb eine leere Hülse. Immer wieder gab es, zwar nicht in Deutschland, in den vergangenen 70 Jahren Kriege. Und wenn auch indirekt, so waren wir Deutschen daran beteiligt. Und immer wieder sind es Kinder, die in Kellern zittern, nicht verstehen, was geschieht, und nur die Angst ihrer Eltern spüren, die sich auf sie überträgt. Die nicht wissen, warum Bomben um sie herum explodieren. Die auf der Straße reglose Menschen sehen und sich fragen, warum sie dort schlafen. Kinder, die im Arm ihrer Eltern vor den Trümmern ihrer Häuser stehen, vor den Trümmern eines Lebens, das ihnen nicht vergönnt ist zu leben. Und die Gefahr für diese Kriegskinder ist heute noch größer. In Dresden kamen Sprengbomben und Phosphor von oben. Heute verwandeln sich sogar Menschen in Bomben.

Die Deutschen, die ein solches Inferno überlebt haben, sind ganz besonders aufgerufen, sich solidarisch mit den Menschen zu erklären, die eine ähnliche Hölle durchschritten haben und sie noch immer durchschreiten. Es darf daher nicht sein, dass aus Deutschland tödliche Waffen in Regionen gelangen, in denen sie zum Einsatz gegen Zivilisten eingesetzt werden. Waffen können keinen Frieden schaffen, sie bringen nur Unheil und Tod.

Wenn ich Bilder von der syrischen Stadt Aleppo sehe, aufgenommen aus der Luft, erinnern sie mich frappierend an das zerstörte Dresden – und an das Kind, das ich einmal war. Sie erinnern mich daran, dass wir unter jenen, die aus Syrien und anderen Kriegsregionen hierher kommen, den Kindern besondere Aufmerksamkeit schenken, damit die Bilder, die sich in ihre Seelen gebrannt haben, durch friedlichere und freundlichere überdeckt werden.

Christa-Maria Callori-Gehlsen wurde 1940 in Rom geboren und kam als Dreijährige nach Dresden. Hier ging sie zur Schule und legte ihr Abitur ab. Später studierte sie in Rom, arbeitete als Übersetzerin und Herausgeberin. Heute lebt sie in Lörrach, fühlt sich aber immer noch als Dresdnerin. Sie besucht die Stadt regelmäßig. © privat

Am Dienstag, 8. 2. 2011 wird ein Dokumentarfilm über Martin Luther King und die Bürgerrechtsbewegung gezeigt. Bitte schaut den Film an, er ist hochinteresant und tief erschütternd.

http://www.arte.tv/de/woche/244,broadcastingNum=1197833,day=4,week=6,year=2011.html

Viele Menschen in den USA vermuten, dass die aggressive Politik-Sprache der Republikaner einzelne Bürger, besonders solche, die psychisch labil sind, zu Attentaten verführen kann. Es liegt wieder in der Luft, das von Hass vergiftete politische Klima. Wie damals, vor über 40 Jahren, als Kennedy und King und mit ihnen noch andere wie Malcolm X Opfer eines solchen aufgeheizten politischen Klimas wurden.

Obama versucht in seiner Rede, die Amerikaner davon zu überzeugen, dass sie Zusammenhalt üben, dass sie eine faire politische Diskussion führen und im Gedenken an die 6 Opfer, darunter ein kleines Mädchen, das Ziel eines Amerika im Auge behalten, in dem alle Bürger offen ihre Meinungen und ihre Ansichten vertreten dürfen, ohne Angst zu haben, ins Fadenkreuz der politischen Gegener zu gelangen.

Barack Obama findet versöhnende Worte und es bleibt zu hoffen, dass er als Friedesnnobelpreisträger über das nötige Charisma verfügt, um den Frieden auch innerhalb der amerikanischen Gesellschaft zu gewährleisten.